Am 31.07.2022, durfte ich zum ersten mal erfahren, was es heißt, einen eigenen Haushalt zu besitzen. So zog ich also in eine kleine Übergangswohnung in einem Studentenwohnheim in Berlin Schöneweide. Gerade mal einen Tag vorher konnte ich diese doch sehr günstige Wohnung von einem anderen Studenten namens Bennet, der umziehen musste, zur Untermiete bekommen. In diesem Monat begann ich sogleich auch meine Arbeit bei den Spielbanken Berlin. Am ersten Tag lernte ich meine lieben Kollegen kennen. Mit einem schien ich mich gut zu verstehen und so setzten wir uns zur Einweisung gleich an einen Tisch. Mit diesem Tag sollte ich gleich als Labertasche in diesen Pokerausbildungs Kurs eingehen.
Ich lernte also Robert kennen. Ein Berliner, wie er im Buche steht. "Berlin frisst einen auf. Pass besser auf dich auf." Dies war der erste Hinweis, den mir Robert gab. Erst später sollte ich verstehen, was das heißt. Letztlich hab ich diesen Kurs nie richtig beendet. Aus Zeitgründen. Ich konnte die geforderten Zeiten aufgrund meiner Pläne einfach nicht einhalten und musste vorzeitig kündigen. "Aber was solls?" sagte ich mir. "Zumindest habe ich immernoch meine Ausbildung im Black Jack von der Spielbank in Dortmund."
In 3 Tagen ist mein Aufenthalt in Berlin nun schon ein Jahr alt. Ich muss ganz offen zugeben, dass ich nach dieser doch schon gewaltigen Zeit ein unglücklicherer und nachdenklicher Mensch geworden bin. Doch dafür habe ich viele Erfahrungen gemacht und Lektionen gelernt, die ich ohne dieses Jahr nie entdeckt hätte.
In Berlin hat jeder etwas vor. Selten kommt es vor, dass in Berlin jemand in seinen Taten keine Hintergedanken mitbringt. Jeder will der nächste große Künstler werden oder zumindest den sozialen Aufstieg hinlegen. Überall in jedem Cafe, in jeder Bar und in jedem anderen Laden arbeiten Leute, die etwas in dieser Welt bewegen wollen oder zumindest versuchen genug Geld für die nächste Party zusammen zu kriegen.
Ich durfte in einem Jahr so viele verschiedene Leute kennenlernen, wie es in Dortmund 21 Jahre gekostet hat. Ich hab schon gehört, dass Berlin Vielfalt mitbringt, aber ich hätte nicht gedacht, dass unsere Landeshauptstadt wirklich so viel Diversität bringt. Da gibt es wirklich alles, was es zu kaufen gibt. In Berlin fragt man nicht "Gibt es hier X?". In Berlin fragst du "Wo gibt es hier X?".
Was mich vor allem beeindruckt hat, ist das Kiezdenken in Berlin. Jeder Stadtteil hat seinen Kiez. Ich persönlich durfte dem Nollendorfkiez sehr nah kommen. Eine Ikone in der Schwulenszene. Ich durfte in meinem ganzen Leben noch nicht eine so herzliche Nachbarschaft kennenlernen. Ein Mensch, wie ich, der sehr oft als Homosexuell gelesen wird, hatte es natürlich sehr einfach, sich dort einzugliedern, aber auch im Umgang mit Touristen oder älteren Leuten, die ein gewisses Unverständniss für Homosexualität hatten, waren die Menschen im Nollendorfkiez irgendwie herzlicher als ich es gewohnt, bin. Ob das nur so in diesem Kiez ist oder auch in anderen, dass weiß ich leider nicht. Ich kann aber sagen, dass ich diesen kleinen Kiez sehr vermissen werde, wenn ich ihn hoffentlich baldigst verlassen muss.
Zum 06.09.2022 habe ich meine Arbeit als Servicekraft in einem der berühmtesten Schwulencafes in ganz Berlin begonnen und nach nun einem Jahr kann ich dies als interessante Erfahrung beschreiben. Vorallem, da ich nicht selber schwul bin! Meine Erfahrungen dort lassen sich nicht in diesem kleinen Beitrag zusammenfassen. Dieser Abschnitt meines Lebens benötigt einen ganz eigenen Beitrag. Zusammengefasst kann man allerdings sagen, dass ich Menschen kennengelernt habe, die mir inzwischen sehr am Herzen liegen. Menschen, die ich normalerweise so nie kennengelernt hätte. Ich bin Menschen begegnet, die ihr erstes Date hatten, ihr Jubiläumgefeiert haben, Geburtstagsfeiern, Stammtische Promis, Kamerateams, Rentner, Touristen, Politikier und noch so vielen mehr.
Ich habe wie gesagt in einem Jahr mehr Leute kennengelernt als in 21 Jahren in Dortmund. Ich habe immer versucht, für meine Gäste mehr zu sein als eine Servicekraft. Ich wollte kein Geist sein, den man gleich wieder vergisst. Ich habe mit den Gästen gescherzt und gelacht mich für sie gefreut, mitleid empfunden mit ihnen philosophiert, gefachsimpelt über Kunst, Musik und Politik. Ich habe viel neues gelernt und andere Gäste konnten sogar noch etwas von mir lernen.
Ein Künstler braucht in seinem Leben nicht nur Talent, sondern auch Erfahrung aus dem echten Leben. Ich dachte wirklich, dass ich davon schon genug hätte, aber seit ich die Menschen aus diesem Cafe kennenlernen durfte, weiß ich, dass man nie genug Erfahrung haben kann. Erfahrungen sind wie Wissen. Jeder glaubt, dass man genug davon hat und wagt es, sich nicht einzuschätzen, ob man zu viel oder zu wenig hat. Wobei die, die beides überschätzen, als Proleten einzuordnen sind.
Letztlich ist Berlin eine wunderschöne Stadt, doch jemand, der Ziele im Leben verfolgt sollte, aufpassen nicht von seinem Weg abzukommen. Eine Stadt, die alles hat, lässt einen nämlich selten ruhen.
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