"Dem Einsamen ist der freiwillige Untergang
wie eine Heimkehr zu sich selbst."

Karl Jaspers, Philosoph & Psychiater


Den Text hier schreibe ich aus gegebenem Anlass. Die letzten Tage, Wochen und Monate ziehen regelrecht wie im Sturm an mir vorbei. Mein Köpfchen tut schon weh, weil ich es mir vom ganzen Alleinsein schon fast mehrfach zerbrochen habe. Beim Durchdenken dieser Einsamkeit ist mir eine kleine Geschichte eingefallen, die schon einige Jahre her ist.

Als ich Mitte 2022 nach Wien zur Aufnahmeprüfung für die Musik- und Kunstuniversität geflogen bin, durfte ich das Musical "Miss Saigon" besuchen. Gleichzeitig zum Musical bekam ich auch die Antwort, ob ich es eine Runde weiter geschafft habe oder nicht. Ich hob mir diese Nachricht für den Heimweg auf und so genoss ich den schönen Abend. Das Stück war also vorbei und ich machte mich auf den Heimweg. Gespannt öffnete ich meine E-Mails und schon die Vorschau erklärte mir mein Schicksal. "Sehr geehrter Herr Karafotias, leider muss ich Ihnen mitteilen [...]" Bla, Bla, Bla... den Rest kennt man. Viele würden in so einer Situation weinen, nach Hause gehen und sich erholen. Ich bin da anders. Wenn mich etwas zum Nachdenken bringt, dann ist Zuhause der letzte Ort, wo ich sein möchte. Ein guter Spaziergang ist da genau meins. So streunerte ich ziellos durch die engen Gassen von Wien. Es war ein Bild, das das Herz eines jeden Poeten wecken würde. Leichter Regen tröpfelte hinab. Nicht zu leicht, als dass das romantische Bild einer regnerischen Nacht verloren ginge, aber auch nicht zu stark, so dass nicht mal ein Regenschirm vonnöten war.

In Gedanken verloren, schreckte ich langsam auf und legte den Kopf schief. "Musik?" fragte ich mich. Tatsächlich hörte ich den Klang eines Klaviers die Straßen füllen. Mein Kopf drehte sich nach links und ich stand vor einer alten, wirklich sehr alten Bar. Ein roter Vorhang verschleierte den Eingang geheimnisvoll und die Tür stand offen, um frischer Luft und neuen Gästen den Weg zu öffnen. Ich hatte nicht viel Geld dabei, aber angezogen vom Klang musste ich einfach rein. Rechts ein Tresen mit einer älteren Dame, die sich später als Besitzerin herausstellte, links ein einsamer Herr am Klavier. Mein Blick schweifte gespannt durch den Laden. Es war komplett leer. Nur ein aristokratisch wirkender Herr in Begleitung einer Dame im roten Abendkleid füllten eine hintere Sitznische in der schmalen Bar. Ich wurde an einen Platz geleitet, den ich so nie gewagt hätte anzunehmen. Ein roter Sessel mit Samt gepolstert. Galant in der Nähe des Klaviers platziert und umspielt von Vorhängen, die mit ihren Wellen der Schönheit des Meeres Konkurrenz machen könnten.

Die Dame wollte sich gerade meiner Bestellung annehmen, da rief der pompöse Mann im Eck: "Noch eine Runde bitte und für den Herren Pianisten und Ihren jungen Gast da vorne auch eine Runde. Geht auf mich!" Sachte lächelte ich auf und nickte dem Herren dankbar zu. So bestellte ich eine Cola, nichts Besonderes. Ich genoss das Klavierspiel, welches von Frank Sinatra, Jazz-Klassikern, wunderschönen Chansons bis hin zu Musicals alles bot. Ich schloss die Augen und genoss den Abend. Die Ablehnung hat mich schon gar nicht mehr beschäftigt und der Herr in Begleitung spendierte eine Runde nach der nächsten. Es müssen Stunden vergangen sein.

Ein Uhr nachts. Der Herr verabschiedete sich aus dem Lokal und ich saß nun alleine im Lokal. Mit zu wenig Geld und zu viel Schmerz, der wieder aufkochte, bangte ich den Laden nun verlassen zu müssen. Dann ein Wink des Himmels. Drei junge Touristen spazierten proletenhaft in das Etablissement und nahmen gleich an der Bar Platz. So war ich nicht mehr im Fokus und genoss den Abend weiter. Ich saß vor meinem leeren Glas und hörte dem Pianisten weiter zu, welcher ohne Pause scheinbar selber in seine eigenen Welten zu fließen schien. Nach einer halben Stunde gingen die Herren wieder und ich nippte nachdenklich an dem Glas Leitungswasser, welches mir eine Bedienung netterweise vor die Nase gesetzt hat.

Viertel vor zwei und ich stand langsam auf und ging zum Pianisten. Mir brannten die Worte auf den Lippen, die rückblickend nicht unbedingt geschickt erscheinen, aber in dem Moment schien es richtig. "Guter Mann, ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Abend. Sie haben nichts gemacht außer Klavier zu spielen, doch Sie haben damit das Feuer in mir gelöscht. Ein Traum in meinem Herzen geriet heute in Flammen, doch für Ihre Rettung bin ich sehr dankbar. Geld habe ich leider nicht, bin ich selber wohl ein brotloser Künstler, ich hoffe dennoch, dass mein Dank ausreicht." So oder so ähnlich habe ich es damals gesagt.

Danach wollte ich gehen. Gerade in die Tür gehend, rannte ich fast eine fremde Frau um. "Verzeihung, heute bin ich mit dem Kopf einfach woanders", sagte ich entschuldigend, den Kopf schüttelnd. Die Frau lächelte und sagte abwinkend: "Alles gut. Willst du reden? Komm, setz dich." Sie schaute zur Besitzerin, die sie als Stammgästin wohl kannte, und bestellte zwei Weißwein. Ich setzte mich zu ihr und wir redeten. Über alles. Ihre Geschichte, die Musik, Kunst, Wein und letztlich, was mich nach Wien brachte und meine Ablehnung. Als ich gerade meine Erzählung abgeschlossen habe, brach die ganze Fassade. Der Pianist spielte mir zu Ehren mit einem sanften Grinsen auf den Lippen "Ich gehör nur mir" aus Elisabeth. Ich konnte mich nicht mehr halten. Mir entglitt alles und die Tränen flossen meine Wangen hinab. Waren es Tränen der Trauer? Oder doch Tränen der Hoffnung, die damit geweckt wurde? Ich weiß es bis heute nicht.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und langsam blühte ein Lächeln auf. Mein Kopf nickte noch einmal in den Raum, während ich mich von allen verabschiedete und ich spürte den roten Vorhang an mir vorbeigleiten. Glücklich ging ich nach Hause, denn in meinem Herzen fühlte ich mich nun ein bisschen weniger allein.